Pressemitteilungen 2009 von Dr. Thomas Ulmer MdEP
Wie stimmen eigentlich die Europaabgeordneten ab?
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- Erstellt am Mittwoch, 19. August 2009 14:34
Dr. Thomas Ulmer MdEP veröffentlicht an dieser Stelle einen lesenwerten, interessanten Bericht des Europäischen Parlaments.
Hunderte Hände gehen hoch, dann wieder runter. Finger drücken Knöpfe und lassen sie wieder los. Einige Daumen zeigen hoch, andere runter. So stimmen die europäischen Abgeordneten im Parlamentsplenum ab: es ist eine echte Zeichensprache. Und hier erfahren sie, wie sie funktioniert. Schenkt man den Statistiken Glauben, so haben die europäischen Abgeordneten in der vergangnen Legislaturperiode, d.h. im Zeitraum von Juli 2004 bis Mai 2009, in 95 Plenartagungen mehr als 25.400 mal abgestimmt. Abstimmungen im Europäischen Parlament funktionieren hauptsächlich durch Handzeichen, so wie in der griechischen Versammlung unter Perikles. Der Sitzungsvorsitzende schätzt die Anzahl der befürwortenden und der ablehnenden Handzeichen ab und entscheidet sich für die Mehrheit, ohne die genaue Summe der pro oder contra Stimmen zu zählen.
Ist eine einfache Mehrheit (eine Mehrheit der anwesenden Abgeordneten) erforderlich, geht es für gewöhnlich schnell und einfach vonstatten. Aber manchmal fällt die Abstimmung knapp aus und die Entscheidung des Vorsitzenden wird von Abgeordneten durch Handzeichen und den Ausruf „Check, check!" angefochten. In diesem Fall kann der Vorsitzende sich für eine Wahlwiederholung unter Zuhilfenahme des elektronischen Abstimmungssystems entscheiden. Dann heben die Abgeordnete nicht mehr ihre Hand, sondern drücken auf einen Knopf, in der dafür vorhandenen Vorrichtung an ihrem Tisch; sie entscheiden sich für oder gegen den Abstimmungsgegenstand oder enthalten sich ihrer Stimme. Um sie zu Benutzen benötigt jeder Parlamentarier eine eigene elektronische Abstimmungskarte, die er in die Abstimmungsvorrichtung auf seinem Platz stecken muss.
Wer stimmt dafür, wer stimmt dagegen?
Die elektronische Abstimmung zeigt die genaue Anzahl der Stimmen auf Anzeigetafeln im Plenarsaal an. Dieses System ist vor allem dann von großem Nutzen, wenn ein Abstimmungsergebnis angefochten wird oder es sich um einen Gegenstand handelt, der eine absolute Mehrheit der Stimmen (die Hälfte aller Abgeordneten plus eine Stimme) erfordert. Und es ist unentbehrlich für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen, bei denen eine bestimmte Mehrheit, z. B. zweidrittel der Stimmen notwendig ist. Die Art der Mehrheit hängt von der Art des Beschlusses und vom Abstimmungsgegenstand ab. Anonymität während einer Wahl bleibt auch durch die elektronische Abstimmung gewahrt; wie ein Abgeordneter abgestimmt hat, ist nicht zu sehen, sondern nur dass er abgestimmt hat.
Das Abstimmungsverhalten eines jeden Abgeordneten wird nur in sogenannten „namentlichen Abstimmungen" im Protokoll registriert. Der Begriff wurde aus einer Zeit übernommen, als der Vorsitzende die einzelnen Abgeordneten namentlich aufrief und um ihre Stimme bat. Er rief „Herr Müller" und Herr Müller erhob sich und gab sein Ja oder Nein.
Man kann sich vorstellen wie lange dieser Abstimmungsvorgang bei 736 Abgeordneten dauern würde. Daher vermeidet die elektronische Abstimmung endlose Sitzungen. Abgeordnete können auch geheim wählen, indem sie ihren Stimmzettel in eine Wahlurne stecken. Prinzipiell wird eine Geheimwahl nur bei der Wahl von Amtsträgern angewendet. Sprechen sich allerdings ein Fünftel aller Abgeordneten für eine geheime Wahl aus, so muss eine solche durchgeführt werden. Die Stimmen werden von zwei bis sechs von den Abgeordneten ausgelosten Vertretern ausgezählt.
Und wie einigen sich die Abgeordneten auf eine Stimme?
Zwischen Juli 2004 und Mai 2009 wurden dem Plenum 52.557 Dokumente vorgelegt. Da es kaum möglich ist, ein Spezialist in allen Gebieten zu sein, gibt es für die spezifischen Bereiche (Binnenmarkt, Industrie, Landwirtschaft etc.) Koordinatoren der verschiedenen Fraktionen. Die Koordinatoren (auch Obleute genannt) spielen auch eine wichtige Rolle bei der Ernennung der sogenannten „Berichterstatter" des Parlaments, die für den Entwurf der Parlamentsposition zu Gesetzesvorhaben und politischen Stellungnahmen des Parlaments verfassen. Die Koordinatoren und die Berichterstatter nutzen ihr Fachwissen, um eine Abstimmungsliste für die Mitglieder ihrer Fraktion anzufertigen, in der sie angeben, wie diese abstimmen sollten, um der Linie der Fraktion zu folgen. Während der Plenarsitzung kann man dann sehen, wie sie per Daumen hoch oder Daumen runter über die verschiedenen Vorschläge abstimmen. Im Endeffekt bleibt die Wahl aber jedem einzelnen Abgeordneten überlassen, er kann sich für oder gegen die Linie der Fraktion entscheiden.
Quelle / Copyright: Pressedienst / Direktion Medien.
